In der Wintersession wird der Nationalrat über die Zukunft des Stromnetzes debattieren. Mit der sogenannten «Netzexpress»-Vorlage soll dessen Um- und Ausbau beschleunigt werden. Aktuell fokussiert sich die Vorlage vor allem auf die Bewilligungsverfahren für die Höchstspannungsleitungen von Swissgrid (Netzebene 1). Ein Besuch in Boll, in der Berner Gemeinde Vechigen, zeigt: Für die Transformation des Energiesystems braucht es unbedingt auch beschleunigende Massnahmen für das Verteilnetz.
Neuer Dorfkern ist bereit für die Energiewende
Boll hat sich in den letzten 15 Jahren stark verändert: Zahlreiche Gebäude wurden neu gebaut und sind fit für die Energiewende. Sie verfügen über Ladestationen für Elektrofahrzeuge, werden mit Wärmepumpen geheizt und produzieren mit PV-Anlagen eigenen Strom. Dank vorausschauender Zusammenarbeit aller Beteiligten wurde das Verteilnetz in der Planung mitgedacht und an die neuen Bedürfnisse angepasst. Das passierte aber nicht von heute auf morgen.
Der Ausbau des Verteilnetzes in Boll dauerte 15 Jahre
«Heute ist Boll fast gänzlich bereit für die Energiewende», sagt Dominik Schütz. Er hat den Netzausbau in Boll während 15 Jahren für die BKW mitverantwortet und begleitet. Anhand einer Karte der Netzinfrastruktur im Dorf erklärt er, wo es Leitungen zur Verteilung des Stroms und Trafostationen zur Umwandlung auf andere Spannungsniveaus brauchte. Denn auch das Stromnetz muss die steigenden Anforderungen bewältigen können. Es muss nicht nur mehr Strom transportieren, sondern auch die stark schwankende Einspeisung aus Solaranlagen sowie die neuen Lasten aus Ladestationen für Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen aufnehmen.
Früher gab es im Dorfkern zwei Trafostationen. Das war ausreichend für die damaligen Bedürfnisse. Heute wird aber viel mehr Strom dezentral ins Netz eingespeist, zum Beispiel durch Solaranlagen. Dieser Strom muss dann auf eine höhere Spannung transformiert werden, damit man ihn innerhalb der Gemeinde verteilen kann (für eine Erklärung der Fachbegriffe im Verteilnetz, siehe Infobox am Ende des Artikels). Mit dem Zubau von PV-Anlagen nimmt somit auch der Bedarf an Trafostationen zu. Heute sind es im Dorfkern von Boll sieben. «Boll ist ein Paradebeispiel: Dank früher Involvierung und guter Zusammenarbeit aller Akteure konnte der Netzausbau mit dem Bau neuer Gebäude koordiniert werden.» Mit den heutigen gesetzlichen Rahmenbedingungen und Vorgaben dauerte dieser Prozess 15 Jahre.
Im Kontext der Energiewende sind 15 Jahre eine zu lange Zeit, um eine derartige Transformation des Verteilnetzes zu vollziehen. Brauchen wir in anderen Fällen ähnlich lange, können die ambitionierten Ziele nicht erreicht werden. Aber weshalb dauert das aktuell überhaupt so lange?
Wo Trafostationen gebaut werden können – oder eben nicht
Dominik Schütz führt uns an die Kernstrasse 2. «Die Standortsuche von Trafostationen ist immer eine Herausforderung, denn es braucht die Einwilligung der Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer», erklärt er. Hier steht eine neue Trafostation genau an der Grenze zur Bauzone. Sie ermöglichte die Erschliessung einer neu entstandenen Überbauung mit Solaranlagen. «Wenn die Eigentümerin ihre Einwilligung nicht gegeben hätte, wäre es schwierig geworden einen Standort zu finden» betont Schütz. Denn obwohl hier bereits ein Gebäude ausserhalb der Bauzone steht, hätte die Trafostation nicht ausserhalb der Bauzone gebaut werden dürfen. Es hätte einen anderen Standort innerhalb der Bauzone gebraucht, wo der Boden knapp und oft bereits bebaut ist. Diese Standortsuche ist zeitaufwändig und führt immer wieder zu Projektverzögerungen.
«Eine Beschleunigung der Verfahren im Verteilnetz ist dringend nötig, um mit der Energiewende Schritt halten zu können.»
Der Nationalrat entscheidet nun darüber, ob Trafostationen in Zukunft unter gewissen Umständen auch ausserhalb der Bauzonen gebaut werden dürfen, falls als letzte Option sonst nur noch eine Enteignung innerhalb der Bauzone möglich wäre. Dies könnte in einigen Fällen den Netzausbau deutlich beschleunigen.
Kurze Leitungen, lange Plangenehmigungsverfahren
Beim Blick auf die Netzkarte an der Kernstrasse 2 zeigt sich ein weiterer Grund, weshalb sich der Ausbau des Verteilnetzes verzögert hat. Hier mussten sowohl die Leitungen mit der niedersten als auch mit der mittleren Spannung ausgebaut werden. Während Niederspannungsleitungen (Netzebene 7) aktuell nachträglich vom Eidgenössischen Starkstrominstitut (ESTI) bewilligt werden, braucht es für Mittelspannungsleitungen (Netzebene 5) eine vorgängige Plangenehmigung, was die Planungsdauer um circa ein Jahr verlängert.
Die BKW fordert, die Praxis der nachträglichen Bewilligung auch auf Mittelspannungsleitungen auszuweiten. «Wir haben im Netzgebiet der BKW jeden Monat eine Vielzahl solcher Projekte. Eine Beschleunigung der Verfahren ist dringend nötig, um mit der Energiewende Schritt halten zu können», fasst Schütz zusammen. Entscheidend ist nicht die Verzögerung bei einem einzelnen Projekt, sondern vielmehr die Kumulation aller Verzögerungen beim Ausbau des Verteilnetzes. Es muss möglich sein, viel mehr Infrastruktur in kürzerer Zeit realisieren zu können.
Das Parlament hat die Beschleunigung im Verteilnetz in der Hand
Die BKW unterstützt die «Netzexpress»-Vorlage. Doch die Beispiele aus Boll zeigen: Beschleunigungen für den Um- und Ausbau der Verteilnetze sind dringend nötig – mehr als bisher vorgesehen. Denn nicht immer steht so viel Zeit zur Verfügung für die Transformation des Verteilnetzes wie in Boll. Energiewende im Schneckentempo ist keine Option. Die Politik hat es in der Hand.
Fachbegriffe im Stromnetz
Das Verteilnetz umfasst alle Anlagen des Stromnetzes mit einer elektrischen Spannung von 132 kV und tiefer. Im Fachjargon wird zwischen Netzebenen unterschieden: Während Hochspannungsleitungen (Netzebene 3) dem regionalen Transport von Strom über weitere Distanzen dient und meistens als Freileitungen realisiert sind, werden Anlagen der Mittelspannung (Netzebene 5) und Niederspannung (Netzebene 7) meist unterirdisch verlegt und befinden sich in Wohnquartieren. Netzebene 1 sind die Höchstspannungsleitungen und werden von der nationalen Netzgesellschaft Swissgrid betrieben. Die dazwischenliegenden Transformierungsebenen (2, 4, 6) sind nötig, um den Strom zwischen Spannungsniveaus umzuwandeln. Dafür braucht es Trafostationen.
Stephan Peterhans, 01.12.2025, 12:48
Ich war am Anlass des VSE. Verschiedene Politiker/-innen haben die unglaublich langen Bewilligungsverfahren angebrochen. Ich hatte aber den Eindruck, dass das die Politik nicht gross berührt. Wer macht wirklich was, gegen diesen Unfug.
An der nächsten Aktionärsversammlung werde ich fragen, wie viel die hängigen Bewilligungsverfahren, die offen sind, gekostet haben.
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